Freitag, 22. April 2022

Strassenbau: Auch der Kanton muss auf die Zeichen der Zeit reagieren

Auf den ersten Blick sind es der ÖV, der Velo- und der Fussverkehr, deretwegen der Kanton Anpassungen an seinen Strassen vornimmt. Doch noch immer werden Strassen nachfrageorientiert, primär auf den MIV ausgerichtet, gestaltet. Die Hauptkritik der Grünliberalen richtet sich gegen die zunehmende Versiegelung des Bodens und der zu geringen Begrünung.

Am 21. April endete das Mitwirkungsverfahren von ca. 40 Strassenbauprojekten des Kantons. Bei der Durchsicht fällt auf, dass das kantonale Tiefbauamt durchaus punktuell neuste Erkenntnisse in die Projekte einfliessen lässt. So wird im Vergleich zu vor zehn Jahren vermehrt auf Stützmauern mit Natursteinverkleidung, Begrünung und nun auch den Verzicht auf die Benutzungspflicht von kombinierten Radwegen geachtet, doch die Zeichen der Zeit verlangen konsequentere Änderungen der bisherigen Strassenbaupraxis. Die Grünliberalen stossen beim Studium der Projekte auf immer die gleichen Mängel.




Attraktivere Ortskerne
 

Ortsdurchfahrten können, zumindest auf kurzen Abschnitten in den dicht bebauten Dorfzentren, durchaus auch mit einer 6.30 m breiten Fahrbahn, ohne Radstreifen und ohne Mehrzweckmittelstreifen, dafür mit breiten Trottoirs und einer Baumallee ausgeführt werden. Dies wertet die Ortskerne auf, steigert die Aufenthaltsqualität und reduziert die Geschwindigkeit und somit auch den Lärm. Dass dies funktioniert, zeigt das Beispiel der Hauptstrasse durch Horn TG, welche einen DTV von gegen 10000 Fahrzeugen pro Tag aufweist und zusätzlich durch den internationalen Bodenseeradweg von ausserordentlich vielen Velofahrenden benützt wird. Alternativ können auch Bäume auf die Mehrzweckmittelstreifen gesetzt werden.

Die Anlage von Fahrbahnhaltestellen wird zunehmend zum Standard. Dies wird von den Grünliberalen begrüsst, benötigen diese Bushaltestellen doch wesentlich weniger Platz, welcher den Aufenthaltsbereichen zugute kommt und somit ebenfalls zur Aufwertung der Dorfkerne beiträgt. Die Zeiten, wo Strassen als Schneisen in Dörfern wahrgenommen werden, sollten der Vergangenheit angehören.

Die GLP orientiert sich in ihren Änderungsanträgen auch an der soeben veröffentlichten Studie «Grünes Gallustal» des WWF St.Gallen und anderer Umweltverbände. In diesem 1500 Seiten starken Dokument werden Massnahmen zur Anpassung der Stadt an den Klimawandel, zur Verbesserung der Biodiversität und zur Steigerung der Lebensqualität aufgezeigt. Viele, auch einfach umzusetzende Massnahmen lassen sich auf andere Städte und Gemeinden übertragen. Die Probleme mit Hitzeinseln, Lärm und Mangel an Grünraum sind auch in den Zentren von Kleinstädten und Landgemeinden erkennbar.




Verzicht auf kombinierte Rad-Gehwege
 

Ein weiterer Schwerpunkt in den Beanstandungen der Grünliberalen betrifft den Veloverkehr. Die stetige steigende Anzahl an E-Bikes, welche 25 bis 45 km/h zurücklegen, lassen sich noch weniger mit Fussverkehr auf einem Weg kombinieren, als es der Veloverkehr ohnehin nicht kann. Der Kanton reagiert darauf mit der Befreiung von der Benutzungspflicht, indem auf diesen Wegen anstelle der Signals «Rad- und Fussweg» nur noch «Fussweg» mit dem Zusatz «Radfahren gestattet» angebracht wird. Auch routinierte Velofahrende begrüssen dies, denn die Fahrt auf der Fahrbahn und den Spuren des motorisierten Individualverkehrs ermöglicht eine weitaus entspanntere und hindernisfreiere Fahrt. Fuss- und Veloverkehr sollte nicht gemischt werden, der Geschwindigkeitsunterschied ist zu gross. Auf den Begriff «Langsamverkehr» ist zu verzichten. Er suggeriert eine Einheit aus Fuss- und Veloverkehr, die es so nicht gibt. Ausser in Ortskernen, wo Begrünung und Aufenthaltsqualität höher als die Fläche für den rollenden Verkehr zu gewichten sind, sollten auf Hauptstrassen Radstreifen anstelle kombinierter Radwege angelegt werden. Auch zu Fuss Gehende würden dies schätzen.




Temporeduktion vor baulichen Massnahmen zur Lärmreduktion


Ein Geschwindiskeitslimit von 30 km/h könnte in manchen Fällen eine äusserst wirksame und kosteneffiziente Massnahme zur Herabsetzung der Lärmbelastung darstellen. Sie kann ohne aufwendige baulichen Massnahmen umgesetzt werden. Positiver Nebeneffekt: Der Verkehr wird verflüssigt und die Sicherheit erhöht. Sie ermöglicht die gestalterische Aufwertung von Strassenräumen, wovon auch Hauseigentümerinnen und -eigentümer profitieren.


Laut dem aktuellen Strassenbauprogramm des Kantons St.Gallen soll aber auf eine Reduktion der gesetzlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen verzichtet werden. «Diese Vorgabe steht im offenen Widerspruch zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die verlangt, dass vorab Massnahmen an der Quelle – insbesondere durch Temporeduktionen – verfügt werden», erklärt Umweltrechtsspezialist Reto Schmid. Auch aus finanzpolitischer Sicht ist es sinnvoll, auf Temporeduktionen zu setzen. Der Bund wird die Kantone künftig prioritär für Massnahmen an der Quelle entschädigen. Die Kosten für den Einbau von Lärmschutzfenstern verbleiben folglich noch stärker beim Kanton.